"Wege entstehen dadurch, dass man sie geht." Franz Kafka

Liebes Publikum!

Noch einmal, zum letzten Mal … Was soll man schreiben zur 13. und letzten Spielzeit als Intendant des Schauspiel Essen, nach insgesamt über 16 Jahren bei der Theater und Philharmonie Essen?
Dass wir unserem Anspruch bis zum Schluss treu bleiben und auch die dunklen Seiten unserer Gesellschaft ins Licht rücken, erwarten Sie ja inzwischen von uns und folgerichtig fühlen wir uns dieser Linie auch in der Spielzeit 2022/2023 verpflichtet. Doch beginnen wir ausnahmsweise am Schluss:

Unsere allerletzte Inszenierung wird Tankred Dorsts „Merlin oder Das wüste Land“ sein, ein Stück, das sich das Ensemble gemeinsam mit der Dramaturgie ausgesucht hat, aus dem Wunsch geboren, noch einmal mit allen Schauspieler* innen gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Ein wunderbar partizipatives Moment, demokratisch entstanden unter Beteiligung aller, die Lust hatten, daran teilzunehmen. Dass am Ende intensiver Diskussionen ein Text steht, der Grundfragen politischen Miteinanders, von Demokratie und Menschlichkeit stellt, verwundert mich nicht, ein Text zudem über die Ablösung des Alten und eine Wandlung zum Neuen und die damit verbundenen Gefahren, Unwägbarkeiten und nicht zuletzt auch Chancen.

Dieser ungewöhnliche Findungsprozess zeigt einmal mehr die Stärken eines intakten und homogenen Ensembles. Unsere Schauspieler*innen sind die Gesichter des Schauspiel Essen: In diesem letzten Jahresheft rückt sie Ensemblemitglied Philipp Noack ins rechte Licht, ein Vorschlag des Ensembles, der uns sofort überzeugte.
Der Wunsch nach Teilhabe und Partizipation trieb uns auch bei der Idee der „Lieblingsstücke“ an. Hier wollten wir noch einmal diejenigen, für die wir Theater machen, direkt ansprechen und haben Sie, liebes Publikum, gefragt, welche Theaterabende aus immerhin über 150 Inszenierungen Ihnen in guter Erinnerung geblieben sind. Ihre TOP 10 finden Sie in diesem Jahresheft – lassen Sie sich überraschen, ob Ihr persönlicher Favorit dabei ist!

Ein Ensemble kann nur frei spielen, wenn auch hinter der Bühne Energie, Lust und Identifikation herrschen und wenn ein funktionierendes Leitungsteam von Anfang an alle künstlerischen Prozesse diskutiert und gemeinsam entscheidet – ein Team übrigens, in dem ich inzwischen als einziger Mann in der Minderheit bin, das aber nur am Rande. Dem Engagement unserer ebenso hoch qualifizierten wie engagierten Mitarbeiter*innen, ohne die keine einzige unserer Produktionen zustande gekommen wäre, verdanken wir, dass wir in den vergangenen Jahren immer wieder auch Projekte realisieren konnten, die auf den ersten Blick „zu groß“ für uns, technisch zu komplex wirkten oder die vorhandenen Ressourcen zu sprengen drohten. Die unbedingte Bereitschaft, Probleme gemeinsam zu bewältigen, neue Wege zu gehen, auch gemeinsam zu scheitern, war fortwährend so groß, dass immer Lösungen gefunden werden konnten. Dafür gilt jeder und jedem Einzelnen, die bzw. der in den vergangenen zwölf Jahren beteiligt war, mein innigster Dank! Das Schauspiel Essen, das sind ALLE Kolleg*innen des Grillos, der Casa und der Box, der Werkstätten und aller weiteren Abteilungen.

In Zeiten knapper Mittel der öffentlichen Hand gilt mein Dank natürlich auch unseren über Jahre hinweg treuen Förder*innen, ohne deren finanzielle Hilfe so manches unserer Projekte nicht realisierbar gewesen wäre. So haben wir den Auf- und Ausbau unserer erfolgreichen Theaterpädagogik-Sparte zu großen Teilen der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und der Anneliese Brost Stiftung, unsere VR-Projekte, eine Investition in die Zukunft, und weitere wichtige Formate und Inszenierungen der großzügigen Unterstützung durch die Brost-Stiftung zu verdanken. Die Stadtwerke Essen AG hat – übrigens schon bei meinem Vorgänger – traditionell das Familienstück gefördert und uns auf diese Weise alljährlich eine wunderbare Vorweihnachtszeit beschert. Die ersten gebärdensprachgedolmetschten, inklusiven Vorstellungen in NRW im Repertoirebetrieb fanden im Grillo-Theater in Zusammenarbeit mit dem Diakoniewerk Essen und wiederum gefördert von der Brost-Stiftung statt.
Besonders hervorzuheben ist der Freundeskreis der Theater und Philharmonie Essen, der viele Kontakte eingefädelt und uns dank der großzügigen Spendenbereitschaft seiner Mitglieder auch selbst immer signifikante Geldbeträge zur Verfügung gestellt hat. Diese wichtige Aufzählung von Sponsor*innen ließe sich um etliche Namen erweitern: Ihnen allen danke ich von Herzen.

Sehr am Herzen liegen mir auch die durch die Pandemie gebeutelten Besucherorganisationen. Meinem Team und mir ist absolut bewusst, wie viele Zuschauer* innen wir der Theatergemeinde und dem Theaterring zu verdanken haben und wir würden uns freuen, wenn Sie in Zukunft weiterhin deren vielfältiges Angebot nutzen würden.

Ganz besonders aber bedanken wir uns bei Ihnen, unserem Publikum: Sie haben uns die letzten Jahre mit Auslastungen von bis zu 90 %, ja, ich muss sagen, auf Händen getragen, uns begeistert und kritisch begleitet. Viele unserer sozialen Aktionen, sei es die dieses Jahr zum 13. Mal stattfindende „Wunschbaum“-Aktion, das seit 2015 laufende Projekt „Der geschenkte Platz“, seien es die „Rote Rosen“-Abende zum Wohle karitativer Einrichtungen, um nur einige zu nennen, wurden dank Ihrer Großzügigkeit zum Erfolg – auch in Pandemiezeiten. So sind über die Jahre hinweg aus Begegnungen Freundschaften entstanden, die hoffentlich auch noch nach dem Sommer 2023 Bestand haben werden.

Es bleiben aber leider auch sorgenvolle Blicke in die Zukunft: Denn ob den Essener Bürger*innen die wunderbaren Spielstätten Casa und Box erhalten bleiben, steht derzeit noch in den Sternen. Auch für die bauliche Situation vor allem des dringend sanierungsbedürftigen Hinterhauses zeichnet sich trotz jahrelanger Planung momentan noch keine Lösung ab: eine schwere Hypothek für die Zukunft, die hoffentlich geschultert werden wird.

Für diese unsere letzte gemeinsame Spielzeit haben wir uns vorgenommen, Ihnen mit geballter Energie und großer Spielfreude noch einmal viele Themen aus dem Leben als Spiegelbild unserer Gesellschaft zu präsentieren. Wir freuen uns sehr auf Sie!

Auf ganz bald verbleibe ich mit einem letzten und herzlichen Glück auf!

Ihr
Christian Tombeil