Die Kuhn-Orgel

Ein Kunstwerk mit 4502 Pfeifen

Die große Kuhn-Orgel ist das Schmuckstück der Philharmonie Essen. Eingeweiht wurde sie am 24. September 2004, wenige Monate nach Eröffnung des Hauses. Über das Kunstwerk mit seinen 4502 Pfeifen schreibt die Schweizer Orgelbau-Firma Kuhn:

"Beim Neubau der Konzertsaal-Orgel für die Philharmonie Essen mussten wir vielen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht werden: Das Werk sollte den internationalen, mondänen Charakter des Ortes widerspiegeln, ohne die überzeugenden Grundsätze des traditionellen Orgelbaus zu vernachlässigen. Zudem wollten wir die Anregungen der Musiker*innen einfließen lassen und gleichzeitig unseren eigenen Idealen treu bleiben. Das sinfonische Instrument mit mechanischer Traktur und 4502 Pfeifen vereint alle diese Ziele. Als ausgezeichnete Partnerin des Orchesters vermag diese Orgel einem breiten Spektrum von Musikstilen Gravität und Klangfülle zu verleihen.

Der Prospekt ist nicht Werk-gebunden, was gewisse gestalterische Freiheiten zulässt. Diese wurden in intensiver Zusammenarbeit mit den Architekten auch ausgeschöpft. Der 'Tuba' konnten wir einen ganz besonderen Platz einräumen: Horizontal glänzt sie unter der Empore. Um die Anforderungen des modernen Konzertbetriebs optimal zu erfüllen, ist das Instrument mit einem zusätzlichen mobilen Spieltisch ausgestattet.

Dank Balanciers und Kuhn-Hebel werden die hohen Winddrücke auf einem gut spielbaren Niveau gehalten. Zwei zusätzliche Oktavkoppeln unterstützen das effektive Schwellwerk, damit die klanglichen Ressourcen auf das Beste genutzt werden können. Im Unterschied zur Kirchenorgel steht bei der Klangabstufung die Hierarchie der Manuale im Vordergrund; Mensuration und Intonation sind auf Ensemble-Wirkung ausgerichtet.

Was am Anfang als Idee in den Köpfen und auf Papier existierte, haben unsere Orgelbauer*innen, Pfeifenmacher*innen und Schreiner*innen in unermüdlicher Kleinarbeit in Wirklichkeit verwandelt. Sie haben den Weg bereitet für künstlerische Höhenflüge, Momente der Abendroben und unvergessliche Auftritte."

Ein Klangbeispiel: Wolfgang Kläsener spielt Bach, Reger und Widor

Hören Sie hier, wie die Kuhn-Orgel klingt: Im Rahmen der Reihe "TUP trotz(t) Corona" hat Wolfgang Kläsener, Orgelkustos der Philharmonie Essen, Johann Sebastian Bachs berühmte Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565, die Toccata d-Moll, op. 59 Nr. 5 von Max Reger sowie die Toccata F-Dur, op. 42 Nr. 5 von Charles-Marie Widor eingespielt.

Porträt der Kuhn-Orgel auf YouTube

Orgelkustos Wolfgang Kläsener stellt die Kuhn-Orgel der Philharmonie Essen in einem kurzen Video-Porträt vor, abrufbar auf dem YouTube Kanal der Philharmonie Essen: Tauchen Sie in die Welt der Orgelmusik ein und werfen Sie einen Blick hinter den Prospekt der "Königin der Instrumente".
Technische Daten zur Orgel
Disposition Kuhn-Orgel, Philharmonie Essen
62 klingende Register 

I. Hauptwerk C – c⁴
1. Principal 16 '
2. Principal 8 '
3. Flauto major 8 '
4. Bourdon 8 '
5. Gambe 8 '
6. Dolce 8 '
7. Octave 4 '
8. Offenflöte 4 '
9. Quinte 2 2/3 '
10. Superoctave 2 '
11. Mixtur 4f. 2 '
12. Zimbel 3f. 1 '
13. Cornett 5f. (ab f 0) 8 '
14. Trompete 16 '
15. Trompete 8 '
16. Trompete 4 '
17. Tuba (en chamade) 8 ' 

II. Positiv (schwellbar) C – c
1. Lieblich Gedackt 16 '
2. Principal 8 '
3. Bourdon 8 '
4. Salicional 8 '
5. Concertflöte 8 '
6. Octave 4 '
7. Rohrflöte 4 '
8. Viola 4 '
9. Quinte 2 2/3 '
10. Waldflöte 2 '
11. Terz 1 3/5 '
12. Quinte 1 1/3 '
13. Mixtur 4f. 1 1/3 '
14. Trompete 8 '
15. Clarinette 8 '
Tremulant 

III. Schwellwerk C – c
1. Salicional 16 '
2. Flûte harmonique 8 '
3. Cor de nuit 8 '
4. Viole de Gambe 8 '
5. Unda maris 8 '
6. Fugara 4 '
7. Flûte traversière 4 '
8. Cornet d'écho 4f. (ab C) 4 '
9. Octavin 2 '
10. Piccolo 2 '
11. Plein jeu 4f. 2 '
12. Basson 16 '
13. Trompette harmonique 8 '
14. Basson-Hautbois 8 '
15. Voix humaine 8 '
16. Clairon 4 '
Tremulant 

P. Pedal C – g1
1. Untersatz 32 '
2. Principalbass 16 '
3. Subbass 16 '
4. Violonbass 16 '
5. Octave 8 '
6. Bassflöte 8 '
7. Violoncello 8 '
8. Kornettbass 4f. 5 1/3 '
9. Octave 4 '
10. Hintersatz 3f. 2 2/3 '
11. Kontraposaune 32 '
12. Posaune 16 '
13. Trompete 8 '
14. Schalmei 4 ' 

Manualkoppeln
II-I, III-I, III-II, III-I subI-P, II-P, III-P, III-P super
Orgel-Porträt von Dieter Rüfenacht, Orgelbau Kuhn AG
Orgel-Porträt
Orchestrale Klangfülle für die Philharmonie Essen
Nicht immer war die Orgel ein Instrument der Kirche. Ihre Ursprünge sind gänzlich profaner Natur wie beispielsweise musikalische Begleitung von Festivitäten, Theateraufführungen und Umzügen sowie andere Formen der Unterhaltung.

Vor allem im England des 19. Jahrhunderts haben Organisten an Konzertsaalorgeln Geschichte geschrieben. Neben den üblichen Begleitaufgaben war es Brauch, in Solokonzerten auf der Orgel Transkriptionen von populären Orchesterwerken einem breiten Publikum zu präsentieren. Fast scheint es, als würde diese Kunstform, ebenso wie die Aufführung von Orchesterkonzerten mit der Orgel als Solistin, heute eine Renaissance erleben.

Universalität und Stilvielfalt
Die Aufgabe eines Orgelneubaus für einen Konzertsaal stellt sich anders als bei einer Kirchenorgel dar. Mit seiner Infrastruktur bietet der Konzertsaal Möglichkeiten, auf die man in der Kirche verzichten muss: Platz für große Orchester, Bühneneinrichtungen und spezialisiertes Personal. Die Konzertprogramme haben eher weltlichen Charakter. Sie sind kultur- und religionsübergreifend und hinsichtlich Stilrichtungen vielfältiger als in der Kirche. Das mondäne Ambiente des Konzertsaals zieht auch ein anderes Publikum an. Zudem thront die Orgel meist an einem prominenten Standort im Angesicht des Auditoriums.

Anspruchsvolle Architektur Aufgrund der augenfälligen Platzierung spielt die architektonische Erscheinung der Orgel eine äußerst wichtige Rolle. Ein Werkprospekt, d. h. eine traditionelle Gestaltung wie in der Hochblüte des Orgelbaus im 17. und 18. Jahrhundert, war hier nicht gefragt. Das moderne Design der Orgel im Alfried Krupp Saal der Philharmonie Essen wurde deshalb in enger Zusammenarbeit mit den Architekten dieses Raums nach freien, rein ästhetischen Gesichtspunkten erarbeitet. Hinter der Fassade gelten natürlich trotzdem die strengen, orgelbaulichen Gesetzmäßigkeiten.

Klangmerkmale der Konzertsaalorgel
Wohl ist die Namengebung für die Register – das sind die verschiedenen Stimmen und Klangfarben der Orgel – weitgehend identisch mit jener der Kirchenorgel. Doch die Klanggestaltung ist auf orchestrale Effekte hin ausgerichtet. Dabei ist Homophonie wichtiger als polyfone Transparenz. Bei der klanglichen Abstufung steht die Hierarchie der einzelnen Werke – Gruppen von Registern, die einer Klaviatur zugeordnet sind – im Vordergrund, dies ganz im Gegensatz zu der nach den Tonlagen orientierten Gliederung bei der Orgel des 18. Jahrhunderts. Im Unterschied zur Kirchenorgel, die sich durch eine polyfone Rhetorik auszeichnet, ist die Klanggebung hier in erster Linie auf Ensemble-Wirkung ausgerichtet. Ein besonderes Merkmal dieser Konzertsaalorgel ist der farbenreiche Streicherchor vom Pianissimo bis zum Mezzoforte, ein typisches Klangelement der sinfonischen Orgel. Und kaum anderswo lässt sich ein Kornettbass des Pedals besser in ein Klangkonzept integrieren als bei diesem großen Chor der Grundstimmen in Normalton- und Suboktavlage. Eine weitere Besonderheit ist die stufenlose Dynamik des Orgelklanges. Sie wird erreicht mittels zweier schwellbarer Werke und, als Kulmination der Expressivität, der „Tuba“, einem volltönenden Zungenregister. Mit ihrem außergewöhnlichen Platz unter der Orgelgalerie erklingt sie horizontal ins Auditorium.

Wie individuell darf eine Orgel sein?
Selbstverständlich muss eine Konzertsaalorgel bezüglich Klangfarben und Klangvolumen eine adäquate Partnerin des Orchesters sein. Eine hohe Anzahl Register alleine macht aber noch keine große Orgel aus. Es müssen vor allem die „richtigen“ Register sein. So hat die klangliche Ausrichtung der Instrumente selbstverständlich auf den musikalischen Anforderungen der einschlägigen Literatur zu beruhen. Trotzdem sehen wir die Lösung nicht darin, erfolgreiche historische Orgelbauer einfach zu kopieren. Sehr wohl dienen sie uns als richtungweisende Inspiration. Aber wir sind der Überzeugung, dass die Erwartungen unserer Zeit eine Entsprechung in der klanglichen Struktur unserer Orgeln finden müssen. So scheuen wir uns also nicht, innerhalb eines definierten Stilspektrums unserer persönlichen Intuition Ausdruck zu verleihen. Diesen Spielraum beanspruchen wir auch auf Grund der Erkenntnis, dass die künstlerische Freiheit innerhalb einer Epoche schon immer zu individuellen und hervorragenden Leistungen geführt hat.

Beziehung zwischen Instrument und Organist*in
Orgelbau Kuhn hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Anstrengungen unternommen, ein modernes sinfonisches Instrument zu entwickeln, das auf der Tradition beruht, aber trotzdem nicht einfach den Stil des 19. Jahrhunderts unverändert fortschreibt. Wie bei allen anderen Musikinstrumenten wird das Spielgefühl auch bei der Orgel nicht nur über das Ohr, sondern ebenfalls über den Tastsinn vermittelt. Diese für den*die Spieler*in wichtige Beziehung zum Instrument kann nur mit einer mechanischen Verbindung von der Taste zum Pfeifenventil hergestellt werden. Deshalb baut Kuhn neue Orgeln ausschließlich mit mechanischer Traktur. In Konzertsälen wird die Verfügbarkeit eines Fernspieltisches als notwendige Zusatzausrüstung gesehen. Von diesem aus wird die Orgel über eine elektrische Verbindung gesteuert, welche allerdings das direkte mechanische Spielgefühl nicht vermitteln kann.

Mehr als tiefgründige Theorien
Große Ziele – große Gedanken – hohe Erwartungen. Aber geniale Ideen allein reichen nicht aus. Hunderte von Parametern sind auf das Gesamtwerk hin zu optimieren, und das Werk muss letztlich konkrete Form annehmen. Das heißt Handwerksarbeit! Künstlerische Höhenflüge werden für später aufgehoben, für die Momente der Abendroben und großen Auftritte. Auf sie dürfen wir uns nun freuen. Orgelbau ist zu einem großen Teil Vertrauenssache, denn das Ergebnis ist sowohl in ästhetischer als auch in musikalischer Hinsicht erst nach Fertigstellung des Unikats wirklich erlebbar. Wir danken allen, die in irgendeiner Form bei der Vergabe des Auftrags zum Bau der neuen Orgel in der Philharmonie Essen verantwortlich zeichneten, für das uns entgegengebrachte Vertrauen und die wunderbare, uns gebotene Herausforderung, die wir mit Begeisterung angenommen haben.

Dieter Rüfenacht
Geschäftsleiter Orgelneubau
Orgelbau Kuhn AG