Der Reisende
von Ulrich Alexander Boschwitz
in einer Fassung und mit Texten von Hakan Savaş Mican
Premiere
13. September 2024
Dauer
ca. 2 Stunden, 50 Minuten inkl. einer Pause
Altersempfehlung
Empfohlen ab 16 Jahren
Zum Inhalt
Der 2018 wiederentdeckte Roman „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz erschüttert heute, vor dem Hintergrund zunehmenden Antisemitismus und eines bedrohlichen Anstiegs des Rechtspopulismus in Europa, zutiefst.
Deutschland im November 1938: Otto Silbermanns Verwandte und Freunde sind verhaftet oder verschwunden. Silbermann, bis zuletzt ein wohlsituierter jüdischer Kaufmann, steigt nun von einem Zug in den anderen. Er reist in Folge der Novemberpogrome quer durchs Land und versucht, irgendwie einen Ausweg zu finden, unterzutauchen oder dieses Land zu verlassen. Gerade noch ein angesehener Bürger dieses Landes, steht er plötzlich ohne jede Rechte dar. Wir erleben mit ihm die Gleichgültigkeit der Masse, das Mitleid einiger Weniger und seine zunehmende Angst.
Boschwitz schreibt 1939, mit 23 Jahren, seinen Roman, der die Atmosphäre und Lebenswirklichkeit im Deutschland dieser Zeit auf unmittelbare Weise nachempfinden lässt. Hakan Savaş Mican interessiert insbesondere die eindrückliche Schilderung, wie ein Mensch zum Fremden und zum Feind gemacht wird. Er lässt in seiner Roman-Bearbeitung eigene, teils autobiografische Betrachtungen auf die literarischen Vorlagen treffen, und ermöglicht so einen Dialog zwischen historischen Situationen und aktuellen Lebenswirklichkeiten.
In Micans Inszenierungen kehrt das Motiv der Reise als Lebensgefühl von Menschen mit unterschiedlichen Herkunftsgeschichten immer wieder. Im Zentrum stehen die Figuren mit ihrer Suche nach Zugehörigkeit und Identität, deren Geschichten mit Livemusik und Filmprojektionen vergrößert werden.
Der Regisseur und Autor Hakan Savaş Mican inszeniert seit 2008 eigene Stücke, Klassiker und Romanadaptionen, u. a. am Volkstheater München, Thalia Theater Hamburg und seit 2013 als Hausregisseur am Maxim Gorki Theater.
Die Premiere ist vom Angebot der TUPcard ausgeschlossen.
Deutschland im November 1938: Otto Silbermanns Verwandte und Freunde sind verhaftet oder verschwunden. Silbermann, bis zuletzt ein wohlsituierter jüdischer Kaufmann, steigt nun von einem Zug in den anderen. Er reist in Folge der Novemberpogrome quer durchs Land und versucht, irgendwie einen Ausweg zu finden, unterzutauchen oder dieses Land zu verlassen. Gerade noch ein angesehener Bürger dieses Landes, steht er plötzlich ohne jede Rechte dar. Wir erleben mit ihm die Gleichgültigkeit der Masse, das Mitleid einiger Weniger und seine zunehmende Angst.
Boschwitz schreibt 1939, mit 23 Jahren, seinen Roman, der die Atmosphäre und Lebenswirklichkeit im Deutschland dieser Zeit auf unmittelbare Weise nachempfinden lässt. Hakan Savaş Mican interessiert insbesondere die eindrückliche Schilderung, wie ein Mensch zum Fremden und zum Feind gemacht wird. Er lässt in seiner Roman-Bearbeitung eigene, teils autobiografische Betrachtungen auf die literarischen Vorlagen treffen, und ermöglicht so einen Dialog zwischen historischen Situationen und aktuellen Lebenswirklichkeiten.
In Micans Inszenierungen kehrt das Motiv der Reise als Lebensgefühl von Menschen mit unterschiedlichen Herkunftsgeschichten immer wieder. Im Zentrum stehen die Figuren mit ihrer Suche nach Zugehörigkeit und Identität, deren Geschichten mit Livemusik und Filmprojektionen vergrößert werden.
Der Regisseur und Autor Hakan Savaş Mican inszeniert seit 2008 eigene Stücke, Klassiker und Romanadaptionen, u. a. am Volkstheater München, Thalia Theater Hamburg und seit 2013 als Hausregisseur am Maxim Gorki Theater.
Die Premiere ist vom Angebot der TUPcard ausgeschlossen.
Besetzung
Elfriede Silbermann, Gertrud, Alte Frau, Frau Susig, Ursula, Erzählerin
Stein, Becker, Arbeiter, Eduard, Gendarm, Ernst, Schwarz, Erzähler
Herr Rose, Kommissar Turner, Dicker Herr, Lilienfeld, Gendarm, Hamburger, Erzähler
Otto Silbermann, Erzähler
Live-Musiker*innen
Ceren Bozkurt, Kai Weiner
Team
Regie, Text
Bühne
Kostüme
Video
Benjamin Krieg, Sebastian Lempe
Musikalische Leitung
Martin Engelbach, Kai Weiner
Dramaturgie
Termine und Tickets
Schauspiel Essen
Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung im Café Central
Schauspiel Essen
Schauspiel Essen
Schauspiel Essen
"Eine tief berührende Inszenierung im Grillo-Theater".Petra Kuiper, WAZ/NRZ, 16.09.2024
Programmheft
Zusätzliche Informationen
für interessierte Besucher*innen und Lehrpersonal
Zeitleiste zur NS-Zeit - insbesondere 1938 – in Essen und „Gesamt-Reich“
1933 leben ca. 4.500 jüdische Menschen in Essen / 1938 noch etwa 2000
März 1933 – Emigration von Kurt Jooss, dem renommierten Protagonisten des neuen deutschen Tanzes und Leiter des Folkwang-Tanz-Studios, zusammen mit seinem Ensemble nach England, nachdem sein jüdischer Komponist Fritz Alexander Cohen „beurlaubt“ wurde. Infolge Beschimpfung als „mosaischer Tempeltänzer“. Über die folgenden Jahre hinweg stetiger Niedergang der künstlerischen Ausbildung an der Folkwangschule.
21. Juni 1933 – Bücherverbrennung auf dem Gerlingplatz.
6. Juli 1937 / 24. August 1937 – Kommissionen unter Leitung von Prof. Ziegler wählen über 1.400 Kunstwerke aus der Sammlung des Museums Folkwang aus, die als „entartet“ entfernt werden. Unter anderem Werke von Cézanne oder Edvard Munch. Das faktische Ende des Museums.
27. September 1937 – Treffen von Mussolini und Hitler in Essen, Besuch der „Waffenschmiede des Reiches“.
Januar 1938 – Goebbels kommentiert die enorme Verschuldung des Staatshaushalts in seinem Tagebuch: „Aber an Schulden ist noch nie ein Volk zugrunde gegangen. Wohl aber an einem Mangel an Waffen.“
30. Januar 1938 – Feier des „Tags der Machtergreifung“
12. März 1938 – Einmarsch deutscher Truppen in Österreich / Tausende jüdische Einrichtungen und Geschäfte werden geplündert, Juden und Jüdinnen öffentlich misshandelt und gedemütigt. Diese wurden unter anderem gezwungen, in so genannten „Reibpartien“ Bürgersteige von anti-nationalsozialistischen Slogans zu reinigen. Insgesamt gingen über 8.000 jüdische Einzelhandelsgeschäfte in „arischen“ Besitz über oder mussten ganz schließen. Insbesondere Angehörige der österreichischen NSDAP und ihrer angeschlossenen Organisationen bereicherten sich schamlos. Der österreichische Pogrom vom März 1938 übertraf in Ausmaß und Brutalität die Verhältnisse in Deutschland bei weitem. Er gab der antijüdischen Politik im „Altreich“ neuen Schub.
15. März 1938 – Verkündigung des „Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich“
März 1938 – Goebbels Tagebuch: „Wir haben einen bedeutenden Fehlbetrag. Aber dafür Österreich.“
20. April 1938 – Feiern zum „Führergeburtstag“
21. - 30. April 1938 – Erste Aktion „Arbeitsscheu Reich“ Die Verhaftung und Verschleppung von sogenannten „Asozialen“ geht auf den „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ des Reichsinnenministeriums vom 14. Dezember 1937 zurück. Die Verhaftungsaktion lief reichsweit im Zeitraum vom 21. bis 30. April ab. Insgesamt wurden dabei zwischen 1.500 und 2.000 männliche „Arbeitsscheue“ in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.
1. Mai 1938 – Feiern zum „Tag der nationalen Arbeit“
31. Mai 1938 – „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“
31. Mai - 3.Juni und 13. - 18. Juni 1938 – Weitere Aktionen „Arbeitsscheu Reich“, die insbesondere gegen Juden und Jüdinnen mit minimalen Vorstrafen gerichtet waren. Die „Juni-Aktion“ war zugleich die erste von der Sicherheitspolizei in Eigenregie durchgeführte Aktion, bei der eine große Zahl von deutschen Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager verschleppt wurde.
6. - 15. Juli 1938 – Auf der Konferenz von Évian, die auf Initiative des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zusammenkam, berieten die Vertreter von 32 Staaten und 71 Hilfsorganisationen, wovon jedoch nur 24 Vertreter kurz Stellung beziehen durften, über die aufgrund nationalsozialistischer Unterdrückung rapide ansteigenden Flüchtlingszahlen von Juden und Jüdinnen aus Deutschland und Österreich. Die Konferenz endete weitgehend ergebnislos, da sich außer der Dominikanischen Republik alle Teilnehmerstaaten weigerten, mehr jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Der Völkische Beobachter vom 15. Juli 38 kommentiert höhnisch: „Deutschland bietet der Welt seine Juden. Keiner will sie haben!“
30. September 1938 – Münchner Abkommen – Abtreten der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich. Höhepunkt der Appeasement-Politik von Chamberlain.
1.-10. Oktober 1938 - Besetzung der tschechischen Gebiete durch das Deutsche Reich
Oktober 1938 – Burkhard & Co. übernimmt vom renommierten, alteingesessenen jüdischen Bankhaus Simon Hirschland das Geschäft in Essen. Georg Samuel Hirschland, ehemaliger Vorsitzender der Essener jüdischen Gemeinde, sowie Mitbegründer der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ – wandert über die Niederlande aus in die USA. Das Folkwang-Museum erwirbt im Zuge dessen aus der Sammlung von Hirschland „sehr ansehnliche Stücke […] der deutschen Malerei aus dem 19. Jahrhundert.“ Von den taxierten 500.000 RM erhält die Familie Hirschland 7.000 Dollar.
Das Essener Textilgeschäft Gustav Blum wird von der Firma Loosen „arisiert“, auch die Textilfabrik Neumann & Mendel gibt auf.
28. Oktober 1938 – „Polenaktion“ – 500 jüdische Essener Frauen, Männer und Kinder werden in Zügen an die polnische Grenze verfrachtet
7. November 1938 – Attentat des 17jährigen durch die „Polenaktion“ betroffenen Herschel Grynspan in Paris auf den deutschen Legationssekretär von Rath.
9. / 10. November 1938 – Tag des „Gedenkens an die Blutzeugen der Bewegung“ // Pogromnacht – Zerstörung der Steeler Synagoge, des jüdischen Jugendheims; Brandstiftung bei der Alten Synagoge, zahlreiche jüdische Geschäfte, Praxen und Wohnungen werden zerstört.
10. November 1938 - Verwüstung der Villa des Justizrats Salomon Heinemann am Haumannplatz in Essen. Kurz danach Suizid des Ehepaars Heinemann.
12. November 1938 – Den Juden und Jüdinnen des Reichs wird gesetzlich eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark auferlegt.
Infolge der Pogrome werden mehr als 300 Personen in Essen in „Schutzhaft“ genommen. Jüdische Einrichtungen werden weitestgehend vernichtet: Der jüdische Kindergarten in der Peterstraße wird zu einem Polizeirevier umgebaut, das jüdische Alters- und Erholungsheim auf der Rosenau wird zum Erholungsheim der NS-Frauenschaft, das jüdische Café in der Dreilindenstraße geht an die Gestapo, die Villa von Georg Hirschland wird Gästehaus der NSDAP-Gauleitung, die Steeler Synagoge und das Jugendheim werden abgetragen. Die Alte Synagoge kann aufgrund der massiven Stahlbeton-Kuppel nicht abgerissen werden und wird zum Übungsplatz für den Reichsluftschutzbund.
Wer von den Juden und Jüdinnen danach noch in Essen blieb, musste den Judenstern tragen und in sogenannten Judenhäusern leben.
27. Oktober 1941 – Beginn der Deportationen von Juden und Jüdinnen zunächst ins Ghetto in Łódź.
Bis 9. September 1943 – Acht weitere Transporte nach Minsk, Riga und Izbica, Theresienstadt und direkt nach Auschwitz. Fahrten gingen ab Hauptbahnhof oder Bahnhof Essen-Nord.
Ab 1942 lebten die verbliebenen Essener Juden und Jüdinnen konzentriert im Barackenlager Holbeckshof in Steele.
Ab 1943 Aufbau des Lagers KZ—Außenlager Humboldtstraße für Krupp in Essen-Fulerum.
Ab August 1944 – kommen 520 ungarische Jüdinnen aus dem KZ Buchenwald. Die jungen jüdischen Frauen mussten nun im Kruppschen Walzwerk II und in der Elektrodenwerkstatt der Krupp-Gussstahlfabrik an der Helenenstraße Schwerstarbeit leisten, wobei sie von anderen Arbeitskräften abgegrenzt wurden. Der morgendliche Appell fand immer um 4 Uhr vor den Baracken statt. Die rund sechs Kilometer Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Lager konnten die Zwangsarbeiterinnen meist hin und zurück mit der Straßenbahn fahren. Arbeitsbeginn war um 6 Uhr für die meisten Frauen im Walzwerk II, um Öfen zu beschicken oder Schweißarbeiten und Hilfstätigkeiten auszuführen.
Zwischen 1933-1941 fliehen über 60% der Essener Juden und Jüdinnen ins Ausland. Nach Schätzungen haben nur ungefähr die Hälfte der bis 1933 in Essen lebenden Juden und Jüdinnen die NS-Zeit überlebt.
Die Daten und Beschreibungen wurden kompiliert aus:
Entrechtung und Selbsthilfe: zur Geschichte der Juden in Essen unter dem Nationalsozialismus. Herausgegeben von der Alten Synagoge, Haus Jüdischer Kultur, Essen. Klartext Verlag, Essen, 1994.
Essen, Geschichte einer Stadt. Herausgegeben von Ulrich Borsdorf.
Pomp Verlag, Essen, 2002.
1938, Warum wir heute genau hinschauen müssen. Mit einem Vorwort von Klaus von Dohnanyi. Herausgegeben von Barbara Schieb & Jutta Hercher. Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, München, 2018.
März 1933 – Emigration von Kurt Jooss, dem renommierten Protagonisten des neuen deutschen Tanzes und Leiter des Folkwang-Tanz-Studios, zusammen mit seinem Ensemble nach England, nachdem sein jüdischer Komponist Fritz Alexander Cohen „beurlaubt“ wurde. Infolge Beschimpfung als „mosaischer Tempeltänzer“. Über die folgenden Jahre hinweg stetiger Niedergang der künstlerischen Ausbildung an der Folkwangschule.
21. Juni 1933 – Bücherverbrennung auf dem Gerlingplatz.
6. Juli 1937 / 24. August 1937 – Kommissionen unter Leitung von Prof. Ziegler wählen über 1.400 Kunstwerke aus der Sammlung des Museums Folkwang aus, die als „entartet“ entfernt werden. Unter anderem Werke von Cézanne oder Edvard Munch. Das faktische Ende des Museums.
27. September 1937 – Treffen von Mussolini und Hitler in Essen, Besuch der „Waffenschmiede des Reiches“.
Januar 1938 – Goebbels kommentiert die enorme Verschuldung des Staatshaushalts in seinem Tagebuch: „Aber an Schulden ist noch nie ein Volk zugrunde gegangen. Wohl aber an einem Mangel an Waffen.“
30. Januar 1938 – Feier des „Tags der Machtergreifung“
12. März 1938 – Einmarsch deutscher Truppen in Österreich / Tausende jüdische Einrichtungen und Geschäfte werden geplündert, Juden und Jüdinnen öffentlich misshandelt und gedemütigt. Diese wurden unter anderem gezwungen, in so genannten „Reibpartien“ Bürgersteige von anti-nationalsozialistischen Slogans zu reinigen. Insgesamt gingen über 8.000 jüdische Einzelhandelsgeschäfte in „arischen“ Besitz über oder mussten ganz schließen. Insbesondere Angehörige der österreichischen NSDAP und ihrer angeschlossenen Organisationen bereicherten sich schamlos. Der österreichische Pogrom vom März 1938 übertraf in Ausmaß und Brutalität die Verhältnisse in Deutschland bei weitem. Er gab der antijüdischen Politik im „Altreich“ neuen Schub.
15. März 1938 – Verkündigung des „Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich“
März 1938 – Goebbels Tagebuch: „Wir haben einen bedeutenden Fehlbetrag. Aber dafür Österreich.“
20. April 1938 – Feiern zum „Führergeburtstag“
21. - 30. April 1938 – Erste Aktion „Arbeitsscheu Reich“ Die Verhaftung und Verschleppung von sogenannten „Asozialen“ geht auf den „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ des Reichsinnenministeriums vom 14. Dezember 1937 zurück. Die Verhaftungsaktion lief reichsweit im Zeitraum vom 21. bis 30. April ab. Insgesamt wurden dabei zwischen 1.500 und 2.000 männliche „Arbeitsscheue“ in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.
1. Mai 1938 – Feiern zum „Tag der nationalen Arbeit“
31. Mai 1938 – „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“
31. Mai - 3.Juni und 13. - 18. Juni 1938 – Weitere Aktionen „Arbeitsscheu Reich“, die insbesondere gegen Juden und Jüdinnen mit minimalen Vorstrafen gerichtet waren. Die „Juni-Aktion“ war zugleich die erste von der Sicherheitspolizei in Eigenregie durchgeführte Aktion, bei der eine große Zahl von deutschen Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager verschleppt wurde.
6. - 15. Juli 1938 – Auf der Konferenz von Évian, die auf Initiative des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zusammenkam, berieten die Vertreter von 32 Staaten und 71 Hilfsorganisationen, wovon jedoch nur 24 Vertreter kurz Stellung beziehen durften, über die aufgrund nationalsozialistischer Unterdrückung rapide ansteigenden Flüchtlingszahlen von Juden und Jüdinnen aus Deutschland und Österreich. Die Konferenz endete weitgehend ergebnislos, da sich außer der Dominikanischen Republik alle Teilnehmerstaaten weigerten, mehr jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Der Völkische Beobachter vom 15. Juli 38 kommentiert höhnisch: „Deutschland bietet der Welt seine Juden. Keiner will sie haben!“
30. September 1938 – Münchner Abkommen – Abtreten der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich. Höhepunkt der Appeasement-Politik von Chamberlain.
1.-10. Oktober 1938 - Besetzung der tschechischen Gebiete durch das Deutsche Reich
Oktober 1938 – Burkhard & Co. übernimmt vom renommierten, alteingesessenen jüdischen Bankhaus Simon Hirschland das Geschäft in Essen. Georg Samuel Hirschland, ehemaliger Vorsitzender der Essener jüdischen Gemeinde, sowie Mitbegründer der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ – wandert über die Niederlande aus in die USA. Das Folkwang-Museum erwirbt im Zuge dessen aus der Sammlung von Hirschland „sehr ansehnliche Stücke […] der deutschen Malerei aus dem 19. Jahrhundert.“ Von den taxierten 500.000 RM erhält die Familie Hirschland 7.000 Dollar.
Das Essener Textilgeschäft Gustav Blum wird von der Firma Loosen „arisiert“, auch die Textilfabrik Neumann & Mendel gibt auf.
28. Oktober 1938 – „Polenaktion“ – 500 jüdische Essener Frauen, Männer und Kinder werden in Zügen an die polnische Grenze verfrachtet
7. November 1938 – Attentat des 17jährigen durch die „Polenaktion“ betroffenen Herschel Grynspan in Paris auf den deutschen Legationssekretär von Rath.
9. / 10. November 1938 – Tag des „Gedenkens an die Blutzeugen der Bewegung“ // Pogromnacht – Zerstörung der Steeler Synagoge, des jüdischen Jugendheims; Brandstiftung bei der Alten Synagoge, zahlreiche jüdische Geschäfte, Praxen und Wohnungen werden zerstört.
10. November 1938 - Verwüstung der Villa des Justizrats Salomon Heinemann am Haumannplatz in Essen. Kurz danach Suizid des Ehepaars Heinemann.
12. November 1938 – Den Juden und Jüdinnen des Reichs wird gesetzlich eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark auferlegt.
Infolge der Pogrome werden mehr als 300 Personen in Essen in „Schutzhaft“ genommen. Jüdische Einrichtungen werden weitestgehend vernichtet: Der jüdische Kindergarten in der Peterstraße wird zu einem Polizeirevier umgebaut, das jüdische Alters- und Erholungsheim auf der Rosenau wird zum Erholungsheim der NS-Frauenschaft, das jüdische Café in der Dreilindenstraße geht an die Gestapo, die Villa von Georg Hirschland wird Gästehaus der NSDAP-Gauleitung, die Steeler Synagoge und das Jugendheim werden abgetragen. Die Alte Synagoge kann aufgrund der massiven Stahlbeton-Kuppel nicht abgerissen werden und wird zum Übungsplatz für den Reichsluftschutzbund.
Wer von den Juden und Jüdinnen danach noch in Essen blieb, musste den Judenstern tragen und in sogenannten Judenhäusern leben.
27. Oktober 1941 – Beginn der Deportationen von Juden und Jüdinnen zunächst ins Ghetto in Łódź.
Bis 9. September 1943 – Acht weitere Transporte nach Minsk, Riga und Izbica, Theresienstadt und direkt nach Auschwitz. Fahrten gingen ab Hauptbahnhof oder Bahnhof Essen-Nord.
Ab 1942 lebten die verbliebenen Essener Juden und Jüdinnen konzentriert im Barackenlager Holbeckshof in Steele.
Ab 1943 Aufbau des Lagers KZ—Außenlager Humboldtstraße für Krupp in Essen-Fulerum.
Ab August 1944 – kommen 520 ungarische Jüdinnen aus dem KZ Buchenwald. Die jungen jüdischen Frauen mussten nun im Kruppschen Walzwerk II und in der Elektrodenwerkstatt der Krupp-Gussstahlfabrik an der Helenenstraße Schwerstarbeit leisten, wobei sie von anderen Arbeitskräften abgegrenzt wurden. Der morgendliche Appell fand immer um 4 Uhr vor den Baracken statt. Die rund sechs Kilometer Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Lager konnten die Zwangsarbeiterinnen meist hin und zurück mit der Straßenbahn fahren. Arbeitsbeginn war um 6 Uhr für die meisten Frauen im Walzwerk II, um Öfen zu beschicken oder Schweißarbeiten und Hilfstätigkeiten auszuführen.
Zwischen 1933-1941 fliehen über 60% der Essener Juden und Jüdinnen ins Ausland. Nach Schätzungen haben nur ungefähr die Hälfte der bis 1933 in Essen lebenden Juden und Jüdinnen die NS-Zeit überlebt.
Die Daten und Beschreibungen wurden kompiliert aus:
Entrechtung und Selbsthilfe: zur Geschichte der Juden in Essen unter dem Nationalsozialismus. Herausgegeben von der Alten Synagoge, Haus Jüdischer Kultur, Essen. Klartext Verlag, Essen, 1994.
Essen, Geschichte einer Stadt. Herausgegeben von Ulrich Borsdorf.
Pomp Verlag, Essen, 2002.
1938, Warum wir heute genau hinschauen müssen. Mit einem Vorwort von Klaus von Dohnanyi. Herausgegeben von Barbara Schieb & Jutta Hercher. Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, München, 2018.
Gefördert von der Sparkasse Essen aus Mitteln der Lotterie „PS-Sparen und Gewinnen“
und dem Freundeskreis Theater und Philharmonie Essen e. V.
und dem Freundeskreis Theater und Philharmonie Essen e. V.